Der Landkreis Ansbach ist mit knapp 2.000 Quadratkilometern Fläche der größte Landkreis in Bayern und in etwa vergleichbar mit dem Saarland. In den 58 Städten und Gemeinden leben rund 180.000 Menschen. Obwohl landwirtschaftlich geprägt, ist der Landkreis mit mehr als 5.000 Betrieben und drei Hochschulen auch ein innovativer Wirtschaftsraum. Bevor Dr. Jürgen Ludwig 2012 Landrat dieses Landkreises wurde, war er Wirtschaftsförderer in Crailsheim. Dadurch gibt es enge Berührungspunkte für die Unternehmer der Region.
MAGAZIN: „Herr Dr. Ludwig, wollten Sie schon immer Politiker werden?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Nein, ich habe immer das gemacht, was ich interessant fand. Übrigens sehen wir kommunale Mandatsträger uns hier vor Ort auch weniger pauschal als Politiker, sondern mehr als Praktiker mit konkreten Aufgaben, etwa für Infrastruktur und soziale Dienstleistungen.“
MAGAZIN: „Wie war Ihr Weg ins Landratsamt?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Nach meinem Studium in Würzburg, Bayreuth und Glasgow konnte ich mich persönlich sehr gut in Stuttgart weiterentwickeln. Beim Verband Region Stuttgart war ich Projektmanager für Wirtschaft und Infrastruktur sowie Europabeauftragter und kam in dieser Funktion oft ins Ausland, auch außerhalb von Europa, etwa nach Moskau, Shanghai oder Washington. In dieser Zeit habe ich viel über Regionalentwicklung, Wirtschaft und Recht gelernt. Das war auch sehr nützlich für meine spätere Aufgabe als Wirtschaftsförderer in Crailsheim. Parallel habe ich mich immer im Ehrenamt in meiner Heimat eingebracht.“
MAGAZIN: „Wie sieht der typische Arbeitstag des Ansbacher Landrates aus?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Jeder Tag ist aufgrund der Vielzahl an Aufgaben und fast 1.000 Mitarbeitern beim Landkreis Ansbach anders. Es gibt viele Sitzungen, Besprechungen und Veranstaltungen, oft bis spät abends und am Wochenende. In der Summe fast 1.600 Termine pro Jahr, oft mit weiten Wegen durch den größten Landkreis Bayerns. Leider bleibt dadurch zu wenig Zeit für persönliche Gespräche und vertiefende Gedanken.“
MAGAZIN: „Ist Politik noch berechenbar?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Ja, wir kommen in den Gemeinden und im Landkreis Ansbach insgesamt gut voran. Es wird kontinuierlich u.a. in Bildung, Gesundheitswesen, Breitband, Straßen, soziale Infrastruktur und Kultur investiert. Politik ist ein langer Weg mit Perspektive, aber meist müssen nur kleine Schritte gegangen werden, um möglichst viele Menschen mitzunehmen.“
MAGAZIN: „Verstehen Sie Kritik an der Politik oder Politikverdrossenheit?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Nein. Unserem Land geht es so gut wie nie zuvor. Wir gelten in Europa und der Welt als Vorbild. Jeder kann sich beruflich sowie privat nach seinen Fähigkeiten verwirklichen und in die Gesellschaft einbringen, Bedürftige werden unterstützt. Die Politik verbessert im Kleinen und Großen dafür ständig die Rahmenbedingungen. Der größere Besitzstand führt aber auch zu wachsender Unbeweglichkeit und Verteilungskonflikten. Hinzu kommt die Schnelligkeit des digitalen Zeitalters, wodurch viele Menschen ungeduldiger werden. Das macht es schwerer, voranzukommen.“
„Der Mittelstand ist ganz wesentlich für den Arbeitsmarkt und gibt Impulse in die Gesellschaft.“
MAGAZIN: „Kritiker sagen, wenn man alles wie in der privaten Wirtschaft organisiert, würde vieles besser klappen!“
Dr. Jürgen Ludwig: „In Unternehmen werden Produkte und Dienstleistungen für Kunden gegen Zahlung eines Kaufpreises angeboten. Bei der öffentlichen Hand geht es um Faktoren wie Sicherheit, Freiheit, Zugang zu Bildung, soziale Absicherung, Umweltschutz, Mobilität für Bürger oder hoheitliche Aufgaben. Das muss anders organisiert werden, und viele dieser Leistungen werden als Selbstverständlichkeit angesehen, ohne zu wissen, was alles dahinter steckt. In Großbritannien hat man vor 30 Jahren versucht, den Bürger als Konsumenten zu sehen und den öffentlichen Sektor komplett umzustellen. Das ist gescheitert. Die Beziehung einer Kommune zu seinen Bürgern ist nicht wie bei einem Kunden, sie ist tiefer. Dennoch können wir von der Wirtschaft lernen. Ich war mit Mitarbeitern erst kürzlich bei Bosch in Ansbach, um dort das betriebliche Vorschlagswesen kennenzulernen. Unternehmerhaltung und Service-orientierung sind auch in der öffentlichen Verwaltung als wichtige Themen angekommen.“
MAGAZIN: „Was wünschen Sie sich von der Landes- und Bundespolitik?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Ich wünsche mir von ihr, dass sie sich nachhaltig um das Wesentliche kümmert. Das heißt für unseren ländlichen Raum vor allem, Infrastruktur und soziale Dienste zu sichern und zu stärken. Ich meine damit Krankenhäuser, bezahlbare Pflege im Alter, attraktiven Nahverkehr auf Schiene und Straße, mehr Geld für Bundes- und Staatsstraßen sowie den Breitbandausbau. Dann sind und bleiben wir attraktiv für Unternehmen, unsere Jugend, Familien, Neubürger und Senioren. Wir sind beispielsweise gerade daran, die Bahnstrecke von Dombühl nach Dinkelsbühl zu reaktivieren. Eine funktionierende Bahnstrecke ist immer ein sehr guter Standortvorteil, keine Reaktivierung ist bisher unter ihrer Prognose geblieben. Die Bahn plant in Dombühl den Intercity von Stuttgart halten zu lassen, dann wäre die Strecke von Dinkelsbühl ein weiterer Zubringer an das deutsche Fernverkehrsnetz. Auch der Ausbau der Hochschule mit Standorten in Feuchtwangen und Rothenburg verbessert unsere Infrastruktur. Ich verstehe aber nicht, warum wir die Reaktivierung der Bahnstrecke und die Hochschulstandorte mitfinanzieren sollen. Diese Infrastruktur ist Aufgabe der Landespolitik. München und Nürnberg zahlen schließlich für ihre Bahn- und Hochschulinfrastruktur auch keinen Cent.“
MAGAZIN: „Wie kann die Energiewende erfolgreich werden?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Zunächst durch den sinnvollen Einsatz von Energie und Energiesparen. Wichtig ist, dass es bei Veränderungen der Vorgaben keine krassen Sprünge gibt, sondern nachhaltige Entwicklungen und Anpassungen. Der Landkreis Ansbach ist bei der Energiewende Pionier und Vorreiter, z. B. bei Biogasanlagen, Windkraftanlagen und Photovoltaik. Auch wenn es bei Wohngebäuden noch viel Potenzial gibt, die Kommunen und der Landkreis haben bei den Schulen bereits viel in die energetische Erneuerung investiert.“
MAGAZIN: „Wie sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor Ort?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Ich denke in der Summe wohl gut, wir haben im Landkreis Ansbach aktuell die größte Zahl an Beschäftigten aller Zeiten. Wir müssen aber weiter an den Grundlagen des Erfolgs arbeiten. Neben der Infrastruktur sind das ein gesundes Regionalbewusstsein und noch mehr Zusammenhalt. Wir können stolz sein auf das Erreichte und die Schönheit und Stärken unserer Heimat. Viele Unternehmer sehen das auch so und bringen sich vor Ort in Vereinen und der Kommunalpolitik ein.“
MAGAZIN: „Was können Sie überhaupt für Unternehmen tun?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Mehr als man im ersten Moment vielleicht denken mag: Infrastruktur modernisieren, Berufsschulen und Hochschulen stärken, bei Investitionen begleiten, ansprechbar sein, Anregungen aufnehmen und ein positives Image der Region pflegen. Neben vielen einzelnen Maßnahmen sind das auch strategische Ansätze wie das Regionalmanagement, die Bildungsregion und neu auch die Gesundheitsregion: Wir entwickeln gemeinsam mit den regionalen Akteuren neue Konzepte und bringen Projekte in die Umsetzung. Mit der Wirtschaftsförderung haben wir im Landratsamt eine gut etablierte Begleitung für Unternehmen im Landkreis Ansbach.“
MAGAZIN: „Wo ist der Landkreis in zehn Jahren?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Wenn es bei der Frage um Wünsche geht, dann wird die A6 zügig ausgebaut, die Bahnlinien nach Wassertrüdingen und Dinkelsbühl haben einen Stundentakt und wir arbeiten bereits an der Durchbindung nach Nördlingen. Auch die Generalsanierung und Erweiterung des Klinikums Ansbach ist dann fertig, die neuen Hochschulstandorte Feuchtwangen und Rothenburg florieren und setzen neue Impulse, der Rettungshubschrauber fliegt auch nachts, Flüchtlinge und Asylbewerber sind gut integriert, die Landesgartenschau in Wassertrüdingen und die Bayerische Landesausstellung rund um das Kloster Heilsbronn waren Besuchermagnete. Außerdem investieren die Gemeinden und der Landkreis kontinuierlich und bauen dennoch nachhaltig Schulden ab, die regionale Identität und die Lebensqualität der Bürger wurden gestärkt, junge Menschen und Touristen begeistern sich für unseren ländlichen Raum und Senioren leben gerne hier. Rundum ist der Landkreis eine moderne Region und ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort mit starker Identität und positivem Image.“
MAGAZIN: „Wie kann man junge Menschen in der Region halten beziehungsweise dahin locken?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Menschen benötigen Perspektiven, Arbeitsplätze und Lebensfreude. Alles das bietet unsere Region, und wir entwickeln sie ständig weiter. Wir haben gute Bildungseinrichtungen, vor allem in der beruflichen Bildung. Eltern und Unternehmen müssen der Jugend stärker als bisher die Chancen und Perspektiven in den Betrieben hier vor Ort aufzeigen. Studium und Großstädte fern der Heimat sind für uns starke Konkurrenten. Generell braucht es mehr Begeisterung für die Region. Wir haben viel zu bieten und es geht vieles Positive gut voran.“
MAGAZIN: „Wie wichtig ist interne Kommunikation?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Selbst Denken und Handeln ist die Grundlage des Erfolgs. Dennoch ist bei vielen Aufgaben, schnellen Prozessen und komplexen Fragestellungen Kommunikation mit den Beteiligten oft entscheidend, ob intern oder extern.“
MAGAZIN: „Wie gewinnen Sie das Vertrauen Ihrer Mitarbeiter?“

Von wegen Politikverdrossenheit: Während des Fotoshootings für dieses Interview machte eine Bürgerin ein Selfie mit Landrat Dr. Jürgen Ludwig
Dr. Jürgen Ludwig: „Indem jeder einzelne möglichst viel Verantwortung hat, Fehler als Ansatz für Verbesserungen gesehen und komplexe Aufgaben offen gemeinsam diskutiert werden.“
MAGAZIN: „Gehen Ihre Mitarbeiter Veränderungen mit?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Sehr viele, ja. Allerdings muss die Veränderung immer zielgerichtet sein und einen Mehrwert bringen. Wenn die Veränderung also kein Selbstzweck ist, gehen sie mit.“
MAGAZIN: „Kommen Sie an genügend Fachkräfte/Auszubildende?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Bisher sehr gut. Zu uns kommen motivierte und patente junge Menschen, von denen man auch etwas lernen kann.“
MAGAZIN: „Welche Herausforderungen stellt der demografische Wandel an die Region?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Eine große Herausforderung ist sicherlich, bei sinkenden Schülerzahlen wohnortnah die ganze Palette der Bildungsangebote anzubieten. Das gilt vor allem für die Berufsschulen. Auch die Unternehmen werden es noch schwerer haben, Auszubildende und Mitarbeiter zu finden. Immer mehr ältere Menschen, die oft auch alleine sind, benötigen Hilfe zu Hause und Pflege, ob ambulant oder stationär. Hier werden wir Lösungen finden müssen.
MAGAZIN: „Wie ist Ihr Führungsstil?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Wenn es geht kollegial, und wenn es nötig ist mit Vorgaben.“
MAGAZIN: „Wo sehen Sie die Herausforderungen in der Zukunft?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Vor allem in der Digitalisierung, der Beschleunigung der Strukturveränderungen, dem Wissenswachstum, der Komplexität der Abläufe bei wachsender Zahl der Beteiligten, dem Trend zu Großstädten, dem demografischen Wandel, dem Wettbewerb um die besten Köpfe und dabei gesunde Finanzen nicht aus dem Auge verlieren.“
MAGAZIN: „Was war Ihre wichtigste Entscheidung?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Meine Frau zu heiraten.“
MAGAZIN: „Wie denken Sie über das Unternehmertum in Deutschland?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Unternehmer und Unternehmerfamilien nutzen und gestalten die Möglichkeiten im Land, unseren Wohlstand zu sichern und auszubauen. Das kann man nur bewundern und wertschätzen. Der Mittelstand ist ganz wesentlich für den Arbeitsmarkt und für Impulse in die Gesellschaft.“
MAGAZIN: „Gibt es eine Facebook-Seite von Dr. Jürgen Ludwig, so wie von anderen regionalen Politikern?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Privat nutze ich Facebook, dienstlich nicht. In der Abwägung gäbe es schon Möglichkeiten, das eine oder andere dienstliche auch zu posten, ich arbeite aber lieber an den Aufgaben.“
MAGAZIN: „Nutzen Sie Netzwerke?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Wo es möglich ist, ja. Sie sind ganz wichtig für meine Arbeit, denn alleine ist es heute oft schwierig bis unmöglich, Ziele zu erreichen.“
MAGAZIN: „Wie oft haben Sie Kontakte zu Ihren Mitarbeitern?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Durch zahlreiche Besprechungen, Sitzungen, E-Mails und Telefonate bin ich ständig mit meinen Mitarbeitern in Kontakt. Pro Tag bin ich maximal 30 Minuten allein im Büro, der Rest ist Kommunikation.“
MAGAZIN: „Was bringt Sie auf die Palme?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Egoismus, Veränderungsverweigerung, Gedankenlosigkeit, Ressourcenverschwendung, Profilierung auf Kosten anderer, Wälzen von Problemen anstatt Nutzen von Chancen, und schlechter Wein.“
MAGAZIN: „Wie bringen Sie privates und familiäres unter einen Hut?“
Dr. Jürgen Ludwig: „Künftig hoffentlich besser!“
MAGAZIN: „Woher bekommen Sie Kraft für Ihre Arbeit?
Dr. Jürgen Ludwig: „Wichtig sind für mich Familie und Freunde, die Liebe zur Heimat, Unterstützung von Mitarbeitern und Kollegen, Erfolge, Grundvertrauen ins Leben und ein guter Whisky aus meiner zweiten Heimat Schottland.“
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Interview: Mathias Neigenfind
Chefredakteur Business Lounge Magazin